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Sitzplatz oder der Weg in die Stille


...und was, bitteschön, hat es mit diesem Sitzplatz auf sich?

Das werde ich immer wieder gefragt, von Eltern weil Kinder der Waldschaukelcamps zu Hause davon erzählen, oder von Jenen, die uns auf Instagram folgen und dort öfters einige meiner persönlichen Sitzplatzmomente sehen - da ich diese Momente gerne teile, insgeheim um möglichst viele dazu zu motivieren, auch diese Übung zu machen ;-)

Was also ist dieser Sitzplatz?

"Sitzplatz" ist eine der Kernroutinen, die wir über das "Naturmentoring" kennengelernt haben. Kernroutinen sollen uns helfen, zu einer tieferen Naturverbindung zu gelangen. Es ist eine Übung von einer Reihe von Übungen, um von der Natur zu lernen.

Und so simpel diese Übungen manchmal auch scheinen, sie haben eine enorme Wirkkraft!

Zudem scheint es mir in Zeiten, wo man von "Naturdefizit" (*) spricht wichtiger den je, diese Kernroutinen zu verbreiten und von eigenen Erfahrungen zu erzählen!

Kinder, denen es ermöglicht wird viel in der Natur zu sein, machen dies noch oft aus einem inneren Impuls heraus

Mit der Übung des "Sitzplatz" habe ich durch unsere Mentoren und Lehrer einen Namen

gefunden für etwas, das ich auch schon in meiner Kindheit aus einem natürlichen Impuls heraus oft und gerne gemacht habe- am Rande von Wien aufwachsend auf einem großen Baum sitzend oder bei meiner Oma im Ötscherland im Wald an einem Bachlauf hockend...es war für mich herrlich an diesen Plätzen einfach nur zu sein und zu beobachten. Die Stimme des Baches schien für mich mit der Zeit wunderbar vertraut und sein Gluckern und Gurgeln war für mich eine Sprache, die ich meinte, langsam zu verstehen. Ich liebte diese magischen Momente und ich kann mich bis heute gut daran erinnern und viele Jahre später sollte ich auch merken, wie sehr mich diese frühen Erfahrungen in meinem künstlerischen Schaffen geprägt haben!

Vielleicht kannst Du Dich auch erinnern, dass Du als Kind schon so eine Sitzplatzroutine hattest. Dann hast auch Du jetzt einen Namen dafür und kannst daran anknüpfen! :-)

Naturdefizit-Störung

Heute sind viele Kinder durch die Eroberung der neuen Medien unserer täglichen Welt und durch einen "durchgetimten" Alltag oft nicht mehr gewohnt, einfach nichts zu tun und in eine beobachtende Stille zu gehen.

(*)Richard Louv spricht sogar von einer Naturdefizit-Störung. Bei diesem Begriff handelt es sich, wie er ausführt, nicht um eine anerkannte medizinische Diagnose, sondern steht er als Begriff für ein aktuell oft zu beobachtendes Phänomen der Entfremdung von der Natur, die durch verringerte Sinneserfahrungen, Aufmerksamkeitsproblemen und an einem höheren Mass an körperlichen und emotionalen Erkrankungen, um nur ein Einiges zu nennen, sichtbar werden. (vgl.Richard Louv, Das letzte Kind im Wald-geben wir unseren Kindern die Natur zurück, 2011)

Aber auch für viele Erwachsene ist die Übung "in Stille zu sein, nichts zu Tun außer mit wacher Aufmerksamkeit und Neugierde zu beobachten" eine schwere Übung und auch viele dieser Erwachsenen fühlen sich bei dem Begriff "Naturdefizit" angesprochen oder wären gut beraten sich dahingehend in Frage stellen.

Sitzplatz im Waldschaukelcamp

Bei unseren Waldschaukelcamps stellen wir den Kindern gerne diese Übung vor und wenn wir uns, zurück vom Sitzplatz im Tipi rund ums Feuer treffen, um uns zu erzählen, was wir erlebt haben, bin ich oft so berührt von den schönen und weisen Worten zu den Erlebnissen und Erfahrungen auf ihrem Platz im Waldschaukelwald, die von diesen jungen Menschen kommen.

Natürlich gibt es immer wieder auch Kinder, die zuerst mal bei dieser Übung nicht so gerne mitmachen- auch das ist ok. Denn zum Sitzplatz kann man nicht gezwungen werden- er funktioniert aufgrund der eigenen inneren Neugierde und der magischen Wirkung dieser Übung.

Wir haben beobachtet, dass Kinder 4 Tage lang ihren Sitzplatz herrichten, schön gestalten und sich darum kümmern, dass er gemütlich wird- sie bauen sich ein Nest und sitzen dann am 5. Tag kurz darin um dann wieder herumzuwuseln und zu gestalten. Auch das ist wunderbar, denn damit streifen sie wiederum eine andere dieser Kernroutinen an- aber davon ein andermal :-)

Ein persönlicher Wohlfühlort in der natürlichen Welt

Es geht darum einen Ort in der natürlichen Welt zu finden, den Du so oft wie möglich aufsuchst, ein Platz der Dein ganz persönlicher Ort wird, an dem Du versuchen wirst still zu sein und zu beobachten. Am Besten sitzt Du dabei auf dem Boden mit einer kleine Unterlage. Beginne dann damit alle Deine Sinne zu aktivieren, zu beobachten und wahrzunehmen, hinzuhören- in die Stille hinein lauschen!

Gut wäre auch, wenn der Platz einfach zu erreichen ist- am Besten möglichst naturnahe, aber es kann auch im eigenen Garten sein, im Park nebenan oder sogar auf der Terrasse. Wichtig ist die gute Erreichbarkeit, damit Dich Deine inneren Stimmen möglichst wenig daran hindern können hinzugehen ;-)

Natürlich wäre es optimal, wenn man dafür 1 Stunde Zeit hätte, aber ich meine, dass es besser ist, man nimmt sich zumindest 15 Minuten Zeit dafür, statt diesen persönlichen Ort gar nicht aufzusuchen!

Wenn es bei mir nicht anders geht und weil ich immer gerne gleich am frühen Morgen meinen Sitzplatz aufsuche, nehme ich auch manchmal meine jüngste Tochter mit- sie kennt das schon gut, und lauscht mit mir in den Wald, bemerkt den Wind und hört die Vogelstimmen, riecht mit mir den herbstlich feuchten Waldboden und lässt mich dann sitzen, während sie im nahen Umkreis umherstreift. So ist es mir lieber als wenn ich gar nicht zu meinem Sitzplatz gehe, und ich bemerke, dass auch meine Jüngste den Sitzplatz schon als Gewohnheit lieben lernt.

Wenn ich oft genug auch alleine dort bin, ist das für mich ein wunderbarer Kompromiss und so gebe ich auch gleich meiner jungen Tochter das Üben dieser Kernroutine weiter :-)

Innere Stimmen

Wenn Du mit dieser Routine beginnst, kann es sein, dass sich anfangs vielleicht immer wieder innere Stimmen melden, die tausend Gründe nennen, warum man dann heute doch nicht gehen mag...zu nass, zu kalt, zu heiss, halb krank, zu viel zu tun und so weiter und so fort!

Doch es geht darum auch diese Gedanken zu beobachten, liebevoll und wohlwollend und dennoch den Besuch bei Deinem persönlichen Sitzplatz zu einer guten Gewohnheit werden zu lassen.

Was ist jetzt das Wesentliche?

Das Wesentliche ist, dass Du diesen Platz richtig gut kennenlernen wirst. Jede Jahreszeit, jede Wetterlage verändert diesen Ort und Du wirst ihn in allen Phasen kennenlernen und beobachten was sich dort tut. Du wirst die Musik dieses Platzes in all seiner Unterschiedlichkeit kennenlernen. Du wirst jedes Rascheln im Laub hören wenn Du unter Bäumen sitzt und langsam schon unterscheiden können, von wem dieses Rascheln kommt- von einer Meise oder einem Käfer oder von sonst einem Bewohner dieses Fleckchens Natur. Du wirst die nahen Geräusche bemerken und jene, die von weiter weg kommen. Du wirst den Duft der Jahreszeiten kennenlernen. Wenn Du mit dem Blick auf ein Vogelhäuschen sitzt, wirst Du die Besucher kennen-und liebenlernen und wirst ganze Geschichten beobachten können, die sich dort abspielen. Ein Stück weit wird dieser Platz Dein Nest, Deine Nische, Dein Rückzugsort.

Mein persönlicher Gewinn

Ich selbst merke, wie mein Sitzplatz ein Teil von mir geworden ist und manchmal wenn es gerade sehr trubelig ist, brauche ich den Platz nur in Gedanken besuchen und ich schärfe meine Sinne und gehe im Inneren in diese Stille und daraus kann ich immer wieder unendlich viel Kraft schöpfen, es beruhigt mein Gemüt und schenkt mir Geduld für die momentanen Situationen in denen ich mich gerade befinde.

Mein Sitzplatz ist mein ganz persönlicher Wohlfühlort geworden, auch wenn es manchmal darum geht, gerade jetzt wenn es langsam kälter wird, die gemütliche Komfortzone der "warmen Stube" zu verlassen- doch ich bin noch jedesmal reich beschenkt worden!

Eure Lilian

Leseempfehlung:

Richard Louv: Das letzte Kind im Wald, Geben wir unseren Kindern die Natur zurück/ 2011/Herder

Richard Louv: Das Prinzip Natur- grünes Leben im digitalen Zeitalter/2012/Beltz

Und natürlich freue ich mich sehr, über Deinen Kommentar gleich hier unten (runter scrollen) oder über Deinen persönlichen Erfahrungsbericht an office@waldschaukel.com!

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